«Ich wäre unglücklich, todunglücklich»Von Christoph Lenz. Aktualisiert am 20.10.2009
Benjamin Biolay ist froh, dass er nicht Posaunist geworden ist. Und erstaunlicherweise hört der Chansonnier kaum französische Musik
Er hat Songs geschrieben für Henri Salvador und Juliette Gréco, Arrangements komponiert für Carla Bruni und Stephan Eicher. Er hat Chiara Mastroianni, die Tochter von Catherine Deneuve, geheiratet, Hunderttausende Alben verkauft und nebenbei das Chanson gerettet. Jetzt sitzt Benjamin Biolay in seinem Pariser Studio, raucht und beantwortet die meisten Fragen auf eine sehr französische Weise: «Bah, oui.» Oder: «Mais, non.» Oder: «C’est comme ça.»
Herr Biolay, ist Ihnen die Freude am Erfolg vergangen?
Mmh, nein.
Aber es scheint mir, als wäre er Ihnen zumindest unangenehm.
Ich weiss nicht. Wenn ich an einem Projekt arbeite, dann will ich mit mir zufrieden sein. Erfolg, Misserfolg – das interessiert mich nicht.
Sie werden mit Serge Gainsbourg verglichen und sind in Frankreich zur Pop-Ikone geworden. Nun veröffentlichen Sie ein Album, das sehr eigensinnig ist und unfranzösisch.
Wie meinen Sie das?
«La superbe» ist nicht schön, nicht soft und – na ja – nicht besonders sexy.
Da haben Sie wohl Recht.
Es klingt eher nach dem England der 80er-Jahre. Wollen Sie Ihre französischen Fans damit erschrecken?
Nein, das ist nicht meine Absicht. Es ist einfach so, dass mich dieses «Nouvelle Chanson»-Genre nicht interessiert, kein bisschen. Ich höre fast keine französische Musik. Und ich bin auch nicht der neue Serge Gainsbourg. Dieser Vergleich langweilt mich fürchterlich. Er war ein grosser Musiker, wahrscheinlich einer der Besten. Aber ich bin ein anderer. Ich drücke mich anders aus, ich mache andere Musik, ich führe ein anderes Leben. Ich bin ein Romantiker. Das war er nicht.
Warum hat Ihr Album diese Post-Punk-Färbung erhalten?
Ich bin in den 80ern aufgewachsen. Joy Division, The Smiths – diese Bands waren meine grossen Vorbilder. Ich wollte schon immer ein Album aufnehmen, das so klingt. Letztes Jahr habe ich mein altes Plattenlabel Virgin verlassen. Jetzt ist der Druck weg. Niemand erwartet von mir, dass ich einen Hit schreibe. Niemand sagt, denk an die Single. Ich kann machen, was ich will. Also habe ich den 80er-Sound für das Album ausgewählt.
Was gefällt Ihnen an diesem Sound?
Er ist kühl und irgendwie drastisch.
Sie erzählen auf «La superbe» die Geschichte einer Liebesbeziehung, ein Drama in 22 Songs. Schreiben Sie Ihre Alben wie ein Dramatiker?
Ich arbeite immer mit einer Geschichte und einem Konzept – es gibt da eine gewisse Verwandtschaft mit Theater- oder Drehbuchautoren. Wenn ich weiss, welche Story ich erzählen will, entstehen die Songs wie von alleine.
Eine schöne Arbeitsweise.
Es geht. Man weiss nicht von vornherein, wie lange man an einem Song arbeiten muss. Manchmal ist ein Stück schon nach zehn Minuten fertig. Manchmal dauert es drei Monate.
Ihre Ehe mit Chiara Mastroianni ist vor zwei Jahren auseinandergegangen. Ist es diese Geschichte, die Sie auf «La superbe» erzählen?
Meine Texte sind nicht autobiografisch, nur persönlich.
Es ist ein sehr ernstes Album.
Ja.
Sind Sie ein ernster Mensch?
Ich nehme meine Arbeit sehr ernst.
Kürzlich haben Sie in einem Horrorfilm gespielt, wie ernst war das?
Ich habe das Privileg, selbst zu entscheiden, was ich tun will. Wenn ich mich entscheide, ein Angebot anzunehmen, bin ich mit dem ganzen Herzen dabei. Das ist eine Lebenseinstellung. Die gilt für die Musik und für die Schauspielerei, auch für den Film «La meute».
Sie spielen den Zombie-Sohn einer Zombie-Barkeeperin, die Restaurantbesucher tötet, um ihre Zombie-Familie durchzufüttern.
(Lacht) Ja, so etwa sieht meine Rolle aus. Im Film töte ich selbst auch. Die Arbeit hat mir sehr viel Spass gemacht. Aber deswegen ist es noch lange keine unseriöse Angelegenheit.
Im Februar wurden Sie für Ihre Rolle im Coming-of-Age-Film «Stella» als bester Nebendarsteller für den César nominiert. Ein erstaunlicher Werdegang für einen, der in der Provinz Violine und Posaune studiert hat. Wie erklären Sie sich das?
Ich weiss nicht, es ist, wie es ist.
Etwas genauer?
Ich war ein unruhiges Kind, ein unruhiger Teenager, und ich bin bis heute unruhig geblieben Es gibt nichts, was ich dagegen unternehmen kann. Wäre ich heute noch Posaunist, ich wäre ein sehr unglücklicher Mensch. Todunglücklich.
http://bazonline.ch/kultur/pop-und-jazz/Ich-waere-ungluecklich-todungluecklich/story/11156959